Inwiefern ist Bildung eine Glücksquelle ?
Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele
die Farbe deiner Gedanken an.
Marc Aurel
Schaut die Gesichter- Neugier und Interesse.
Der Mensch ist von Natur aus
ein Kulturwesen.
Dabei kann Bildung
zur zweiten Sonne werden.
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Zielgruppe:
Eltern, deren Kinder
null Bock auf Schule haben
und diese Kinder selbst.
1
Relevanz und Kernthesen
◙ Relevanz: Angesichts sich zuspitzender globaler Krisen wird
Bildung mehr denn je Schlüsselressource und Metakompetenz.
◙ Kernthesen: Allgemeinbildung als Glücksquelle ist eine
steile These. Ich versuche, dafür zu begeistern.
Das ist schwer, denn die Quelle liegt versteckt.
Man findet sie meist erst in der zweiten Lebenshälfte.
Die Bausteinchen sollte man unbedingt
früher lernen mit Disziplin, ohne die alle
geistigen Kräfte entmachtet sind.
Das ist der Preis, Lohn ist die Freude. Wenn das Hirn
viele „Andockstellen“ für weitere Bildungsgüter hat,
dann fängt es an, Freude zu machen. Wer einmal in sein
Oberstübchen eingezogen ist, will da nicht mehr ´raus.
Eine weitere These lautet: Die anstehende globale
Transformation braucht die Verschiebung des Akzentes
vom Haben zum Sein. Bildung ist etwas „Seins-mäßiges“.
Parole: Weniger Zeug, mehr Zeit. Weniger Arbeit
mobilisiert mehr Zeit und bedeutet weniger Geld,
weniger Zeug, weniger Umweltverbrauch – multipliziert
mit acht Milliarden Menschen. Der sechste Artikel belegt,
warum ohne systematische schulische Grundbildung
kein allgemeiner Wohlstand entstehen kann.
2
Welche Bildung?
Allgemeinbildung und Berufsausbildung
Es ist nun Zeit, den Begriff der Bildung präziser zu fassen:
Am Wichtigsten scheint mir zunächst die Abgrenzung
allgemeiner Bildung von beruflicher Ausbildung zu sein:
allgemeine Bildung
alles Wesentliche
›80% (?) der Realität
Vernunft, Weisheit
Werte, Kultur
Selbstwert
Lebensqualität
Ideen
Leben
Sein
PePe
|
berufliche Ausbildung kleines Spezialgebiet
1%
Verstand, IQ
Technik, Zivilisation
Marktwert
Lebensstandard
Information
Überleben
Haben
KoKo
|
Zwei private Abkürzungen von mir:
PePe = Persönlichkeits-Entwicklung und Potential-Entfaltung
KoKo = Kohle und Konsum.
Die Engländer unterscheiden education und training und das
Begriffspaar humanity und employability. Der Beruf umfasst
in einer arbeitsteilig spezialisierten Gesellschaft meist nur
einen winzigen Sektor, vielleicht 1% der Realität.
Bildung dagegen hat alles Lebenswichtige zum Gegenstand.
Allgemeinbildung ist der beruflichen Ausbildung daher
übergeordnet. Es ist nicht der Verstand, auf den es ankommt,
sondern auf das, was ihn leitet (F. Dostojewski).
Pointiert: Bildung ist das, was übrigbleibt, wenn man das
schulisch Eingetrichterte vergessen hat. Bildung ist die Fähigkeit,
Wertvolles als solches zu erkennen und zu gewichten.
B. Pascal (Mathematiker, Pysiker, Mystiker um 1650) verteidigte
die Universalität der allgemeinen Bildung:
Es ist weitaus besser, etwas über alles zu wissen,
als alles über nur eine Sache (Fachidiotentum).
Pascal hielt viel vom Geist: Der Mensch sei verletzlicher
als ein Schilfrohr, aber ein Schilfrohr, was denkt.
Das größte Verbrechen gegen den Geist ist Einseitigkeit.
Ist Geist nicht das Allergrößte der Welt? Man kann sogar
Sachen denken, die man gar nicht sieht und die man sich
nur in der Phantasie ausmalt. Einsteins Satz Phantasie ist
wichtiger als Wissen ist allgemein bekannt und Schiller
bezeichnete Phantasie als ewigen Frühling.
Bildung befasst sich mit dem Übergeordneten, sie pflegt den
großen Überblick und sucht das geistige Band,
das alles zusammenhält. Bildung ist Orientierung des ganzen
Menschen im ganzen Sein (M. Müller).
Der Philosoph Max Scheler unterschied drei Arten von Wissen:
Beherrschungswissen, Bildungswissen und Heilswissen
(Spiritualität, Glaube und Religion). Scheler hat also das,
was eben als Allgemeinbildung bezeichnet wurde,
aufgedröselt in zwei Teile: Bildungs- und Heilswissen.
Heute begegnet mir immer öfter der Begriff Lebensbildung,
womit man den Teil der Allgemeinbildung meint,
der besonders lebensrelevant ist. Wie verhalten sich die
Wissensbereiche untereinander? Mit dem Beherrschungswissen
(insbesondere die MINT-Disziplinen Mathematik, Informatik,
Naturwissenschaften und Technik) verdienen wir unseren
Lebensunterhalt und sichern den äußeren Wohlstand.
Was unser Leben untergründig nährt und uns seelisch gesund
und munter sein lässt, das ist Bildungs- und Heilswissen
in der Hierarchie-Spitze. Dieses umgreift und stiftet die
Leitschienen für das Beherrschungswissen.
Ist- und Sollzustand sind hier vereinfacht dargestellt:
Gute Bildung ist also weniger eine Frage von Beruf und
Arbeitsmarkt, sondern gute Bildung ist das, was das
persönliche Potenzial des Einzelnen entfalten hilft.
Es ist armselig, nur Beherrschungswissen zu lernen,
um damit später viel Geld zu verdienen. Der Philosoph
A. N. Whitehead betonte, dass zwar das Detailwissen der
Experten auch nötig ist, aber eben nicht ausschließlich.
W. v. Humboldt empfahl eine proportionierte Bildung.
Die Romantik schwärmte von der schönen Seele.
Die Bildung der Reichen möge sich nicht nur in
Vermögensbildung erschöpfen. Wer Bildungswissen verachtet,
ist eine bedauernswerte Hohlfrucht, ein hedonistischer
Konsum-Zombie, der nur für seinen Unterhalt
und anschließend für seine Unterhaltung sorgt.
Lebenskunstforschung belegt schlüssig, dass Allgemeinbildung
als geistig-seelische Vervollkommnung das Leben trägt,
uns gelassener und bei Schicksalsschlägen resilienter macht.
Vereinfacht: Man steht besser über den Dingen.
Geistigkeit erhebt, öffnet Räume und noch besser:
Geist begeistert. Indem Bildung alles in Zusammenhängen sieht,
stiftet sie Einheit und wird zu einer Art Gewächshaus
für Menschlichkeit. Was bin ich heute froh, dass meine Eltern
mich und meine Geschwister mit geistiger Anregung
„gequält“ haben! Zur Auflockerung ein kleiner Exkurs
über die Kunst des Auswählens von Bildungsgütern:
Der Gebildete: Prüft vieles und behält das Beste.
Der Skeptiker: Prüft alles und behält nichts.
Der Schwätzer: Prüft nichts und behält alles.
Der Idiot: Prüft nichts und behält nichts.
Der moderne Mensch: Prüft und behält leider oft nur,
was beruflich und finanziell relevant ist.
3
Bildungs-Begeisterung (=BB)
Bildung als Glücksquelle
Bildungsbegeisterung möge so schön werden
wie Brigitte Bardot.
Ohne BB lässt sich der Akzent vom Haben zum Sein nicht
verschieben. Ich stimme der Behauptung
von M. von Doren zu:
Unsere größte Chance, glücklich zu sein,
liegt in einer guten Bildung.
Um das zu verstehen, braucht es aber eine fette „Vo“:
Das ist in der Physik die Anfangsgeschwindigkeit,
denn BB kommt erst später auf.
Zunächst muss ich weit in die Urzeit zurückschauen:
Ein biologisches Indiz für die These der hohen Bedeutung
unserer Geistbegabtheit ist zunächst mal die sogenannte
Cerebralisation, quasi die Hardware der Erkenntnisfähigkeit:
Die Evolution verdreifachte in drei Millionen Jahren
unser Hirnvolumen. Ich finde das langsam, aber es soll
unglaublich flott sein und erstaunte alle Paläontologen.
Nun das zweite Faktum: Unser Hirn wiegt 1,3 kg,
das sind ca. 2 % unseres Körpergewichtes.
Wieviel Energie bekommt unser Hirn? Nicht 2, sondern 20 %!
Das erstaunte alle Physiologen. Unser Kopf ist wohl mehr
als ein Hutständer. Vielleicht sogar viel viel mehr! Erstaunlich:
Die Existenz oder gar die ganze Evolution als Erkenntnis
gewinnender Prozess! Im Erkennen ist alles Leben
wesentlich beschlossen (Teilhard de Chardin).
Unser ganzer Lohn ist sehen (Augustinus).
Das Leben der Erkenntnis ist das Leben, welches glücklich ist,
der Not der Welt zum Trotz (L. Wittgenstein).
Philosophisch: Homo quaerens cur:
Der Mensch, das warum fragende Wesen.
Suchen wir nicht aus der Mitte unserer Existenz Sinn
und fragen uns: Was ist das hier überhaupt?
Nach Voranstehendem ist es folgerichtig, dass Bildung
als Menschenrecht im Art. 26 auftaucht. Natürlich dient
das Hirn zunächst mal dem Überleben (Abschnitt 5 meint
das heutige Überleben der weniger entwickelten Länder
angesichts globaler Krisen). Der urzeitliche Beginn unserer
Denkfähigkeit erwies sich als Volltreffer der Evolution:
Wir wurden die dominante Spezies in der Futterkette
vor allen Raubtieren. Sodann diente und dient das Hirn
dem „Guten Leben“, wobei wir uns dabei momentan
ziemlich blöd anstellen: Unser Hirn ist nicht nur ein
Luxusinstrument, um das Leben zu optimieren,
sondern um auch mit der conditio humana fertig zu werden.
Mit dem Denken, mit Bewusst- und Selbstbewusstheit
kam leider auch ein ganzes Bündel von Problemen hoch:
Der dickste Hammer war vermutlich das Todesbewusstsein.
Sodann Freiheit: Statt sicherer Instinkte hatten wir
nun alles zu entscheiden.
Zwischen Reiz und Reaktion schiebt sich mehr
und mehr das Denken dazwischen.
Es eröffnet sich ein Bündel von Möglichkeiten.
Die einen sagen: So ein Mist-Stress, die anderen:
Oh, wie interessant! Es ist Würde, aber auch Bürde:
Was sollen wir tun? Wofür sollen wir uns entscheiden?
BKM kreisen um diese Frage. Es ist der Zipfel der schon
erwähnten Maslow´schen Wachstumspyramide,
in dem wir unsere Freiheitskriterien, unsere erhabeneren,
spezifisch humanen Glücksquellen finden: Da sind G, W, S:
Das ist nicht das Trias des Installateurs Gas, Wasser, Sch…,
sondern das Gute, Wahre, Schöne. Kurz: Bildung bringt es!
Das hebt, wie schon erwähnt, die animalischen
Schichten nicht auf. Es kommt etwas hinzu:
Jedem, der dazu neigt, Lebenskunst auf Fressen, Saufen,
Vögeln und Fußball-Schauen zu beschränken,
dem versichere ich:
Da fehlt noch etwas, setze doch noch einen darauf,
denn wir sind von Natur aus kulturfähig.
Dabei also nicht die erstgenannten vier schönen Sachen
ersetzen, sondern ergänzen. Kultur heißt nicht Triebverzicht,
aber durchaus Triebsteuerung und Triebaufschub.
Wie kommen wir in den Zipfel der Pyramide? Dazu muss man
erheblich Anlauf nehmen – da ist sie wieder, die „Vo“,
die Anfangsgeschwindigkeit, ohne die Bildung als Glücksquelle
unverständlich bleibt. Wer nichts weiß, den macht auch
nichts heiß. Sobald man aber einmal ein Bildungsminimum
assimiliert hat, geht der weitere Zuwachs wie von selbst.
Es braucht diese verdammte Vo, um seinen Geist zum
Blühen zu bringen und aufzuhellen. Bildung ist die Arbeit,
mit der wir unserer eigenen Dumpfheit entkommen.
Man muss Bildung üben und pflegen, kultivieren.
Das Wort Kultur kommt davon. Diese Durststrecke ist
anfangs etwas unangenehm: In der Schule lernen wir
nur die Bausteine – das ist etwas trocken und braucht Disziplin.
Gott sei Dank funktioniert das Gedächtnis noch prächtig.
Gebildet-sein-Wollen ist die Entschlossenheit zur
Anstrengung des Verstehens. Es lohnt: Wer einmal in sein
Oberstübchen eingezogen ist, will da nicht mehr heraus.
Es macht einfach höllisch Spaß, neue Assoziationen zu knüpfen,
sein Lernen selbst zu organisieren, und die Welt zunehmend
zu verstehen. Bildung wird zu einem Lebens- und Genussmittel.
Man braucht nur die Leidenschaft der Neugier.
Erkenntnis ist nobilissimus modus habendi aliquid =
die vornehmste Art, etwas zu besitzen. Es ist die beste,
verzeihlichste Form der Habgier. Geistige Entdeckungsreisen
können so spannend wie Forschungsreisen sein.
Der geistig interessierte Neugierige kann täglich
Neuem begegnen. Denn Bildung heißt, systematisch
Scheuklappen verkleinern und über den Tellerrand schauen.
Die Glücklichen sind die Neugierigen, sagte F. Nietzsche.
Der antike Heraklit sagte es noch viel euphorischer:
Für die Gebildeten ist Bildung ihre zweite Sonne!
Je vielseitiger die Welt im eigenen Bewusstsein wird,
desto reicher empfindet man die Welt draußen.
Die Wunderbarkeit der Welt korreliert mit dem
Bildungsgrad des Geistes, der sie betrachtet.
Ohne Bildung verflachen alle Affekte, die Lebensenergie
stockt, das Gemüt verliert Fülle und Tiefe. Der römische
Philosophen-Kaiser Marc Aurel war überzeugt,
dass Geist und Seele auf Dauer die Farbe ihrer
Gedanken annehmen. Der Künstler E. Barlach unterschied
die Menschen nicht in die Rassen weiß, schwarz, rot und gelb,
sondern er unterschied sie viel treffender in nur zwei Rassen:
Die geistige und die ungeistige. Viele kennen den starken
Satz aus dem Talmud, den Sechser-Schritt vom Gedanken
zum Schicksal:
Achte auf deine Gedanken,
denn sie werden deine Worte.
Achte auf deine Worte,
denn sie werden deine Taten.
Achte auf deine Taten,
denn sie führen in deine Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten,
denn sie formen deinen Charakter.
Und achte auf deinen Charakter,
denn er wird zu deinem Schicksal.
Buddha formulierte es so: Was wir heute sind,
stammt aus unseren Gedanken von gestern,
und unsere Gedanken von heute erschaffen unser Leben
von morgen: Unser Leben entsteht aus unserem Geist.
◙ Appell: Bilden wir uns weiter, auf dass die Aufklärung
nicht gescheitert, sondern nur etwas stecken geblieben ist
und sorgen dafür, dass unser geistiger Horizont nicht
an der Hutkrempe endet. Hoffen wir, dass die Utopie des
Homo Sapiens wieder etwas näher rückt. Graben wir mit
der Vernunft immer mächtigere Tunnel in die Wirklichkeit.
Aber bitte mit fröhlichem Herzen! Das ganze Bildungsleben
als chaotische Orientierungskrise zu sehen, ist zu pessimistisch!
Es ist gar nicht schlimm, nicht viel zu wissen, schlimm ist nur,
nichts wissen zu wollen. Wie könnte man es optimistisch sehen?
Sich munter emporirren! Das sei unser Mantra.
Open minded und tolerant sich etwas sagen lassen und
spießig-ängstliche Betonköpfigkeit vermeiden. Systematisch
täglich seinen Horizont zu erweitern, ist eine tolle Maxime.
Sodann ein Hoch auf alle guten Pädagogen und Andragogen,
die BB ausstrahlen!
Willst du für ein Jahr vorausplanen, so baue Reis an.
Willst du für ein Jahrzehnt vorausplanen, so pflanze Bäume an.
Willst du für ein Jahrhundert planen, so bilde Menschen.
(Tschuang-Tse).
4
HABEN
Haben-Orientierung tötet
Dass Homo Sapiens bei seinen Ansprüchen mehr als
drei Erden bräuchte, hat sich herumgesprochen.
Hätten wir nur drei Milliarden Menschen (statt fast acht),
wäre alles easy. Warum global das Thema Familienplanung
nicht ausgiebiger diskutiert wird, ist unverständlich.
Ist es Lemming-Verhalten oder nicht?
Sodann: Stimmt es, dass globaler Konsum wirklich so
extrem angestiegen ist? E. U. v. Weizsäcker hat es besonders
deutlich herausgearbeitet: Seit der Globalisierung (ca. 1990)
hat sich innerhalb einer Generation der globale Konsum
nicht bloß verdoppelt, sondern verzehnfacht.
Dies wurde durch zwei „Kisten“ möglich:
Computer und Container. Wollen wir wirklich weitermachen
mit dem wahnwitzigen Wohlstandswahnsinn?
Wollen wir den totalen Kommerz? Eigentlich nicht.
Aber die Werbung ist viel zu „gut“ und viel zu penetrant.
Psychologen zeigen auf, dass der überdrehte Konsum
Aspekte einer Sucht aufweist: Ökonomismus und
Konsumismus geben sich dabei die Hand:
Habsucht trifft Kaufsucht. Werbung betreibt mehr
Bedarfsweckung als Bedarfsdeckung. Sie heizt den
Turbo-Kapitalismus als gigantisches Gier-System an.
Wer ist dran, die tödliche Haben-Orientierung zu überwinden?
Wohl die Nationen mit dem höchsten Lebensstandard
und der größten Wohlstands-Sättigung.
Kleiner historischer Exkurs:
Die Haben-Orientierung hob an vor ca. 200 Jahren mit
der Erfindung der Dampflok: Darauf explodierte die fossile
Energiegewinnung: Sie verzigtausendfachte Muskelkraft
und Pferdestärke. Zig Milliarden Tonnen Kohle,
Öl und Erdgas sind nun verbrannt:
CO² stieg von 200 auf über 400 ppm.
Nun hat es sich ausgebrannt, und wenn wir nicht sehr
bald aufhören, dann verbrennen wir selbst.
Würden außerirdische Intelligenzen, die unseren Planeten
vor der industriellen Revolution besucht hätten,
uns heute erneut besuchen, würden sie vermuten,
sich im Planeten geirrt zu haben – so extrem haben wir ihn
in nur 7 Generationen umgekrempelt.
Es ist Zeit für eine neue Vision, die Vision der Seele (R. Tagore).
Also vereinfacht: 200 Jahre HABEN, jetzt 200 Jahre SEIN,
damit die Seele endlich mal nachkommen kann. Dass ein
Haushalt der Ersten Welt durchschnittlich 10.000 Gegenstände
hat, ist wirklich ein Wahn. Dass das Meiste nur aus
Status-Gründen und wegen des Prestiges gekauft wird,
verschärft die Lage. Also: Es obliegt der Ersten Welt,
Suffizienz zu üben, bis genug saubere Energie
und Recycling vorhanden sind.
5
SEIN
Seins-Orientierung als neue Vision
Die genial einfachen Begriffe Haben und Sein
als Grundkategorien einer Lebenseinstellung wurden
durch E. Fromm populär gemacht.
Den Akzent vom Haben Richtung Sein zu verschieben,
ist ein mühsames Unterfangen, wenn Hyperkonsum
wirklich Sucht-Charakter hat. Das Objekt der Begierde
(übertriebenes Wohlstandsstreben) lässt sich nicht
einfach streichen, sondern besser ersetzen durch eine
Seins-Orientierung, die Bildung, Kultur und Muße
(BKM) hochhält. Haben und Sein stehen in einem
kompensatorischen Verhältnis: Je weniger man ist,
desto mehr will man haben. Konsumo, ergo sum heißt
diese kollektive Sucht, diese banale tödliche Einbahnstraße.
Hyperkonsum fungiert dann als Sinn-Placebo, als infantiler
Riesenschnuller. Es ist ein Seifenblasenglück. A. Maslow
(Humanistische Psychologie) wurde ziemlich bekannt
durch seine „Wachstums-Pyramide“. Nur der oberste Zipfel
der Wachstumspyramide sei spezifisch human.
Dort befinden sich die Seins- oder Wachstumsbedürfnisse.
Die unteren Etagen teilen wir mit dem Tierreich, dem wir
noch mehr verhaftet sind, als wir wahrhaben möchten:
Wir bräuchten nur in ein Kriegsgebiet zu reisen, um uns
unserer animalischen Prägungen zu vergewissern.
Diese bestehen aus Selbsterhaltung, Sexualtrieb und Machttrieb.
Es sind starke Triebe, genetisch fest verankert.
Bildung und Kultur sitzen als dünne Schicht der Zivilisation oben
auf. Dieser erhabene Pyramidenzipfel kann leicht fliegen gehen.
Die animalischen Strebungen haben einen gemeinen Vorsprung.
Von R. Spaemann gefällt mir ausnehmend gut dessen
Definition des gebildeten Menschen: Der Gebildete hat den
animalischen Egozentrismus hinter sich gelassen.
Die letzten drei Wörter sind eigentlich zu optimistisch:
Das Haben wird natürlich nicht durch das Sein voll ersetzt,
sondern ergänzt oder überformt: Haben um zu sein.
Das Totenhemd hat keine Taschen:
Die Villa können wir nicht mitnehmen,
vielleicht aber unsere geistig-seelische Gewordenheit.
Die neuen Einstellungen der erhabenen
Seins-Orientierung heißen:
Gut leben statt nur viel haben
BKM (= Bildung, Kultur, Muße) statt Hyperkonsum
Lebensqualität statt bloßer Lebensstandard
PE (Persönlichkeitsentwicklung) statt „Konsumschrott“ anhäufen
Zeitwohlstand statt bloßer Güterwohlstand.
6
Bildungskultur
Kritik an Samuel Huntington
Dieser Abschnitt bezieht sich als einziger auf die
bildungsferneren (nicht arrogant gemeint!) Länder der
Dritten Welt. Mich überraschte die steile These von
R. Klingholz, dass Bildung noch wichtiger sei als Klimakrise,
Rohstoffknappheit und Überbevölkerung. Klingholz begründet
recht überzeugend: Kulturen, die besonders Bildung
für die breite Masse unterstützen, blühen, prosperieren
und bewältigen alle möglichen Krisen. Die Industrienationen
sind einfach deshalb robuster, weil Aufklärung zum
institutionalisierten Schulwesen führte, sodann zu den
Naturwissenschaften mit Forschung und Technik.
(Beim Lesen seines Aufsatzes wurde mir erst klar, dass Luthers
Bibelübersetzung plus Gutenbergs Buchdruck als große
Vor-Aufklärung 200 Jahre vor Kant angesehen werden kann.)
Die resultierende Bildungsoffensive breitete sich in Europa aus,
plus Amerika, Skandinavien, später Japan, heute China.
Sie drang nicht durch in Afrika, Westasien und in den
arabischen Ländern, wo quasi sogar Gegenteiliges stattfand,
nämlich: 1485 verbot der osmanische Sultan Bajasid II
unter Androhung der Todesstrafe die Nutzung des Buchdrucks.
Die Bildungsrevolution blieb der muslimischen Welt damit
300 Jahre vorenthalten. Das verwundert, wenn man bedenkt,
dass der arabische Kulturkreis vom neunten bis 13. Jahrhundert
ein Hort des Fortschritts und der Wissenschaft war.
Das war die große goldene Zeit des Islams. Wohl zu Recht
bezeichnete J. G. Herder die Araber als Lehrer Europas.
Heute haben wir keinen Kampf der Kulturen
(Samuel Huntington), sondern einen Kampf der
Bildungskulturen, der nur unter dem Deckmantel
der religiösen Kultur geführt wird:
Moderne Bildung sei Quelle allen Unglaubens.
Wenn in den arabischen Ländern Bildung blühen würde,
dann könnte sich IS, Al-Qaida und Boko Haram nicht halten.
Wenn Klingholz´ These Recht hat, wäre der richtige Ansatz:
Totale globale Aufklärungs- und Bildungsoffensive.
Wenn ein ganzes Volk einen halbwegs beruflich ausgebildeten
und allgemein gebildeten Mittelstand hätte,
könnte es aufwärts gehen: Niemand will einfältig sein,
also pflegen wir doch die Vielfalt: Alle werden dann kreativer,
produktiver, suchen und finden Arbeit und planen
ihre Familien verantwortlicher. Wissen ist Macht,
Unwissen ist Ohnmacht. Die politische Führung besteht
dann mit geringerer Wahrscheinlichkeit aus Schurken.
Politische Mitspracherechte, demokratische Strukturen helfen,
weitere Arbeitsplätze zu schaffen und effizienten Handel
zu entfachen. Es bessern sich Infrastruktur, Trinkwasser
und medizinische Versorgung. Direkt installierte
Umwelttechnik vermeidet die Fehler der alten Industrie-Nationen.
Kurz: Nur ein relativ stabiler Bildungs-Standard hebt und
hält ein Volk auf humanem Niveau. Ich höre schon die Einwände:
Klaus, du blauäugiger Kulturoptimist! Recht habt ihr,
ich glaube es ja selbst kaum. Solange Kinder arbeiten müssen,
um nicht zu verhungern, bleibt mein Ansinnen wohl utopisch.
Und trotzdem sehe ich keine Alternative. Auch wenn viele
Völker in der Barbarei bleiben oder in sie zurückfallen,
gibt es nur den Weg der Bildung als Metakompetenz.
Bildung ist das primum movens (= das sich zuerst Bewegende).
Damit beginnt jeder Aufschwung. Diese Vision ist
überhaupt nicht neu: Schon 1979 (vor einem halben
Jahrhundert) sagte der Club of Rome:
Die Zukunftschance der Welt liegt im Lernen.
N. Mandela bemerkte: Bildung sei die mächtigste Waffe,
mit der man die Welt verändern kann. Ich möchte hinzufügen:
Wie schade, dass es diese Waffe nur in lausig
kleiner Stückzahl gibt! Gäbe es davon so viele wie
Gewehre in Afghanistan, könnte Hoffnung aufkommen.
Nochmal zurück zur „Vo“, zur ausreichenden
Anfangsgeschwindigkeit von Bildungsprozessen:
Ohne Lesen, Schreiben, Rechnen scheitert man schon
auf der ersten Sprosse zum bewohnten Oberstübchen.
Schulen bauen, bringt leider gar nichts, denn sie werden
in einer Sekunde weggebombt oder von Terroristen als
Planungszentrum für Anschläge eingesackt.
Wie manche Muslime begründen, dass Frauen keine Bildung
haben sollen! Nur krasse Nichtbildung kann hier nicken
und durch eine Burka blicken. Nur Bildung sticht Barbarei
und Bestialität. Vermutlich bessere Chancen als Schulgebäude
haben Informationstechnologie, WWW und individuelle
Lernmethoden. Aber ist das Lernen damit wirklich ohne
Anleitung zu schaffen? Die Gebildeten können sich gar
nicht mehr vorstellen, wie blöd sie ohne Bildung wären.
Mit messerscharfem Verstand fand Kant, dass wir zwar
vernunftfähig (animal rationabile) sind, aber nicht vernünftig
(animal rationale). Alle Menschen haben Potenzial,
dass aber ohne konsequenten, systematischen Anschub
brach liegen bleibt. Wie schade, dass Bildungswissen nicht
einfach vererbt wird. Genetisch fest weiter gegeben wird
leider nur die Steinzeit-Ausstattung. Vernunft kann nur
annehmen, wer schon ein bisschen davon hat.
Schon wieder geht es um die Anfänge. Ein „Vorbild-Geben“
wäre noch ein brauchbares Stichwort:
Bildungshunger steigt mit zunehmendem
Alter und Lebenserfahrung.
Mögen die Jüngeren angesteckt werden durch die
Bildungsbegeisterung der Älteren, indem sie das
luxuriöse Privileg vorleben, sich mit Zeitwohlstand
im Maslow´schen Zipfel zu bewegen. Die Früchte des
Baumes der Erkenntnis im Garten Eden interessieren
doch wohl jeden. Sie waren so lecker, dass wir ihretwegen
das Paradies verließen und damit will ich schließen.
7
Details zur Bildung
Bildungs-Essay Teil II: Nur Gliederung
1 Warum ist Bildung heutzutage so wichtig geworden?
2 Mit Schule geht es systematisch los
3 Didaktik
4 Herzbildung
5 Macht denken wirklich glücklich?
6 Ab wann keimt echtes Interesse für Bildung?
7 Eine völlig neue Lernmotivation in der
Erwachsenenbildung (=EB)
8 Was kennzeichnet das Denken in der EB?
9 Vom Individuum zum Kollektiv
10 Sollte der Staat Erwachsenenbildung fördern?
11 Erwachsenenbildung
12 Bildungshunger bei Zeitmangel
13 Wann ist man gebildet?
14 Gebildete erkennt man (u. a.) am kritischen Bewusstsein
15 Gebildete erkennt man an ihrer Gesprächskultur
16 Wer lernt von wem?
17 Was gehört zum Bildungskanon?
18 Wieso bilden Bücher besser als Bilder?
19 Weisheit und Bildung
20 Fazit und Ausblick
Wer wird das wohl lesen wollen?
Für Gebildete kommt hier nicht viel Neues –
sie brauchen das nicht lesen.
Für Ungebildete ist der Essay-Teil II Bullshit –
sie werden das nicht lesen.
Hoffentlich gibt es eine Zwischengruppe – meine Zielgruppe.
Diese Zielgruppe will ich also motivieren,
Bildung zur „second sun“ werden zu lassen!
Rüdiger Dahlke sagte in einem coolen YouTube:
Um einen Wandel wirksam anzuschieben,
muss die Motivation stärker als die Ausreden sein.
Dass Homo Sapiens sich in seinem
wahnwitzigen Wohlstandswahn
ausrottet, ist einfach beschissen!
Essay-Teil II - falls Interesse: → Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!